Der Originaltext stammt von Dr. Josef Oehmen - ein ehemaliger Kommilitone von mir. Josef arbeitet als "Research Scientist" am MIT in Bosten und sein Vater hat umfassende Erfahrung in Deutschlands Atomindustrie.Dieser Text wurde für einen Freund der Familie von Josef geschrieben, der in Japan lebt.
Ich selber bin zwar Ingenieur aber kein Nukleartechniker, weshalb einige Begriffe falsch übersetzt sein könnten. Dieser Artikel ist eine 1:1 Übersetzung und geht daher nicht auf aktuellere Ereignisse ein, die nach der Veröffentlichung des Originalartikels stattfanden (nach der ersten Wasserstoffexplosion und der Flutung des Reaktorblocks 1).
Cheers
Philipp
Ich schreibe Dir diesen Text (12. März 2011), um Dich etwas in Hinblick auf die Situation in Japan zu beruhigen. Ich befasse mich deshalb mit der Sicherheit der Kernreaktoren in Japan. Zunächst einmal ist die Situation ernst, aber unter Kontrolle. Und dieser Text ist lang! Aber du wirst nach der Lektüre mehr Wissen über Kernkraftwerke haben als alle Journalisten auf diesem Planeten zusammen.
Es gab und wird * keine * erhebliche Freisetzung von Radioaktivität geben.
Mit "erheblich" meine ich , ein Niveau höher als die Strahlung, der man ausgesetzt ist wenn man - sagen wir - einen Langstreckenflug absolviert oder ein Glas Bier trinkt , das aus eine Gebieten mit einer hohen natürlichen Strahlenbelastung kommt.
Ich lese seit dem Erdbeben jede Pressemitteilung über den Vorfall . Es gab nicht einen einzigen (!) Bericht, der präzise und frei von Fehlern (und ein Teil dieses Problems ist auch eine Schwäche in der japanischen Krisenkommunikation) war. Mit "nicht frei von Fehlern" meine ich nicht den tendenziösen Anti-Atom-Journalismus - das ist dieser Tage schon normal. Mit "nicht frei von Fehlern" meine ich eklatante Fehler in Bezug auf Physik und Naturgesetze sowie grobe Fehlinterpretation von Fakten, wegen eines offensichtlichen Mangels an fundamentalem und grundlegendem Verständnis über die Art und Weise wie Atomreaktoren gebaut und betrieben werden. Ich habe einen 3-seitigen Bericht auf CNN gelesen, in dem jeder einzelne Absatz Fehler enthielt.
Wir müssen einige Grundlagen abdecken, bevor wir uns das anschauen, was passiert ist.
Der Aufbau der Fukushima Kernkraftwerke
Die Kraftwerke in Fukushima sind sogenannte Siedewasserreaktoren oder kurz SWR. Siedewasserreaktoren sind ähnlich wie ein Schnellkochtopf. Der nukleare Brennstoff heizt Wasser, das Wasser kocht und erzeugt Dampf, welcher dann Turbinen antreibt, die Strom erzeugen. Der Dampf wird dann abgekühlt und kondensiert wieder zu Wasser und das Wasser wird zurück zu den Brennelementen geleitet, um von dem Brennstoff erwärmt zu werden. Der Schnellkochtopf arbeitet bei etwa 250 °C
Der Kernbrennstoff ist Uranoxid. Uranoxid ist eine Keramik mit einem sehr hohen Schmelzpunkt von etwa 3000 °C. Der Brennstoff wird in Pellets hergestellt (denk einfach an kleine Zylinder in der Größe eines Legosteins). Diese Stücke werden dann in eine lange Röhre von Zirkalloy mit einem Schmelzpunkt von 2200 °C getan und dicht verschlossen. Dieses Ding wird Brennstab genannt. Diese Brennstäbe werden dann in größeren Paketen zusammengefasst und eine Reihe dieser Pakete wird im Reaktor montiert. Alle diese Pakete zusammen werden als "der Kern" bezeichnet.
Das Zirkalloy Gehäuse ist das erste Containment [Erklärung auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Containment_(Nukleartechnik) Anm.d.Ü.] Es trennt die radioaktiven Brennelemente vom Rest der Welt.
Der Kern wird dann im "Druckbehälter" platziert. Das ist der Schnellkochtopf, über den wir vorher gesprochen haben. Der Druckbehälter ist das zweite Containment. Dies ist ein robuster Topf, der entworfen wurde, um den Kern bei Temperaturen von mehreren hundert °C sicher zu halten. Das deckt die Szenarien ab, in denen die Kühlung irgendwann wiederhergestellt werden kann.
Die gesamte "Hardware" des Kernreaktors - der Druckbehälter und alle Rohrleitungen, Pumpen, Kühlmitteltanks (Wasser), werden dann vom dritten Containment eingehüllt. Das dritte Containment ist eine hermetisch (luftdicht) verschlossene, sehr dicke Blase aus dem stärksten Stahlbeton. Das dritte Containment ist für einen einzigen Zweck konzipiert, gebaut und getestet: Um eine komplette Kernschmelze auf unbestimmte Zeit zu versiegeln. Zu diesem Zweck ist eine große und dicke Betonwanne unter dem Druckbehälter (dem zweiten Containment) - alles innerhalb des dritten Containments. Dies ist der so genannte "Core Catcher". Wenn der Kern schmilzt und das Druckgefäß platzt (und schließlich schmilzt), fängt er den geschmolzenen Brennstoff und alles andere. Es wird typischerweise so gebaut, dass der Kernbrennstoff sich verteilen und abkühlen kann.
Diese dritte Containment wird dann durch das Reaktorgebäude umgeben. Das Reaktorgebäude ist eine äußere Hülle, deren Aufgabe ist, das Wetter fernzuhalten, aber nichts drinnen (dies ist der Teil, der bei der Explosion beschädigt wurde, aber dazu später mehr).
Grundlagen der Kernreaktion
Der Uran Brennstoff erzeugt Wärme durch Kernspaltung. Große Uranatome werden in kleinere Atome gespalten. Das erzeugt Wärme plus Neutronen (eines der Teilchen, die ein Atom bilden). Wenn das Neutron ein anderes Uranatom trifft, und dann spaltet, erzeugt es mehr Neutronen und so weiter. Das wird als nukleare Kettenreaktion bezeichnet.
Einfach viele Brennstäbe nebeneinander zu packen, würde schnell zu einer Überhitzung führen und nach ca. 45 Minuten die Brennstäbe schmelzen. An dieser Stelle lohnt es sich zu erwähnen, dass der Kernbrennstoff in einem Reaktor * niemals * eine nukleare Explosion in der Art der einer Atombombe verursachen kann. Der Bau einer Atombombe ist tatsächlich recht schwierig (frag mal den Iran). In Tschernobyl wurde die Explosion durch einen übermäßigen Druckaufbau, eine Knallgasexplosion und den Bruch aller Containments verursacht, was das geschmolzene Kernmaterial in die Umwelt geschleudert hat (eine "schmutzige Bombe"). Warum das nicht Japan geschehen ist und nicht geschehen wird, steht weiter unten.
Um die nukleare Kettenreaktion zu steuern, verwenden die Bediener des Reaktors sogenannte "Steuerstäbe". Die Steuerstäbe absorbieren die Neutronen und beenden sofort die Kettenreaktion. Ein Kernreaktor ist so gebaut, dass im normalem Betrieb, alle Steuerstäbe herausgenommen sind. Das Kühlmittel Wasser nimmt dann die Wärme auf (und wandelt es in Dampf und Strom) mit der gleichen Geschwindigkeit wie der Kern diese produziert. Und Du hast eine Menge Spielraum um den normalen Betriebspunkt von etwa 250 °C.
Die Herausforderung besteht darin, dass nach dem Einführen der Stäbe und dem Stoppen der Kettenreaktion, der Kern noch weiter Wärme erzeugt. Das Uran "stoppt" die Kettenreaktion. Aber eine Reihe von radioaktiven Zwischenprodukten, die durch das Uran während seines Spaltprozesses erzeugt wurden - vor allem Cäsium- und Jodisotope bzw. radioaktive Versionen dieser Elemente - teilen sich weiter in kleinere Atome und sind dann nicht mehr radioaktiv. Diese Elemente zerfallen weiterhin und produzieren dabei Wärme. Weil sie nicht mehr vom Uran gespeist werden (der Zerfall des Urans wurde nach dem Einfahren der Steuerstäbe gestoppt), werden sie immer weniger und so kühlt der Kern über einen Zeitraum von Tagen, bis radioaktiven Zwischenprodukte aufgebraucht sind.
Diese Nachzerfallswärme verursacht im Moment die Kopfschmerzen.
Also der erste "Typ" von radioaktivem Material ist das Uran in den Brennstäben sowie die radioaktiven Zwischenprodukte, in die Uran innerhalb des Brennstabs zerfällt (Cäsium und Jod).
Es wird eine zweiter Typ von radioaktivem Material außerhalb der Brennstäbe erzeugt. Der große Hauptunterschied vorneweg: Diese radioaktiven Stoffe haben eine sehr kurze Halbwertszeit, dass bedeutet sie zerfallen sehr schnell und teilen sich in nicht-radioaktive Stoffe. Mit schnell meine ich innerhalb von Sekunden. Also, wenn diese radioaktiven Stoffe in die Umwelt freigesetzt werden - ja es wurde Radioaktivität freigesetzt und nein, es ist überhaupt nicht gefährlich. Warum? Bis Du das Wort "R-A-D-I-O-N-U-K-L-I-D" buchstabiert hast, sind sie harmlos, weil sie sich in nicht radioaktive Elemente aufgespalten haben. Die radioaktiven Elemente sind N-16, das radioaktive Isotop (oder die Version) von Stickstoff ([der Hauptbestandteil von Anm.d.Ü.] Luft). Die anderen sind Edelgase wie Argon. Aber woher kommen sie? Wenn das Uran sich spaltet, erzeugt es ein Neutron (siehe oben). Die meisten dieser Neutronen treffen ein anderes Uranatom und halten die nukleare Kettenreaktion aufrecht. Einige jedoch verlassen den Brennstab und treffen auf Wassermoleküle oder die Luft, welche im Wasser gelöst ist. Dann kann ein nicht-radioaktives Element das Neutron "einfangen". Es wird radioaktiv. Wie oben beschrieben, wird es schnell (innerhalb von Sekunden) das Neutron los, um zu seiner ursprünglichen und schönen Version zurückzukehren.
Dieser zweite "Typ" der Strahlung ist sehr wichtig, wenn wir uns später über die in die Umwelt freigesetzte Radioaktivität unterhalten.
Was in Fukushima passiert ist
Ich werde versuchen, die wichtigsten Fakten zusammenzufassen. Das Erdbeben, das Japan getroffen hat war 5 mal stärker als das schwerste Erdbeben für das ein Kernkraftwerk ausgelegt wurde (die Richterskala arbeitet logarithmisch, der Unterschied zwischen den 8,2 für die das Kraftwerk gebaut wurde und den 8,9 ist das 5-fache - nicht 0,7). Also erst einmal Hurra für die japanische Ingenieurskunst, dass alles gehalten hat.
Als das Erdbeben mit 8,9 zugeschlagen hat, hat sich der Kernreaktor automatisch abgeschaltet. Innerhalb von Sekunden nach dem Beginn des Erdbebens, sind die Steuerstäbe in den Kern eingefahren worden und nukleare Kettenreaktion des Urans wurde gestoppt. Nun muss das Kühlsystem die Nachzerfallswärme abführen. Die Leistung der Nachzerfallswärme beträgt etwa 3% der Leistung im normalen Betrieb.
Das Erdbeben zerstörte die externe Stromversorgung des Kernreaktors. Das ist einer der schwersten Unfälle für ein Atomkraftwerk und dementsprechend erhält ein "plant blackout" viel Aufmerksamkeit bei der Gestaltung der Backup-Systeme. Die Kühlwasserpumpen benötigen Strom, um zu arbeiten. Da das Kraftwerk abgeschaltet wurde, konnte es für sich selbst keinen Stroms mehr erzeugen.
Für eine Stunde lief alles gut. Einige einer Reihe von Dieselgeneratoren zur Notstromversorgung sprangen an und stellten den benötigten Strom zur Verfügung. Dann kam der Tsunami - viel größer als er beim Bau des Kraftwerks erwartet wurde (siehe oben, Faktor 7). Der Tsunami zerstörte alle Notstromaggregate.
Beim Entwerfen eines Kernkraftwerks folgen Ingenieure der Philosophie von "gestaffelte Sicherheitsbarrieren". Das bedeutet, dass Du alles so auslegst, um der schlimmsten Katastrophe zu widerstehen, die Du Dir vorstellen kannst. Und dann legst Du das Kraftwerk so aus, dass es noch eine zweiten Systemausfall (von dem Du denkst dass er nicht passieren kann) nach dem ersten handhaben kann. Ein Tsunami, der alle Notstromaggregate zerstört, ist ein solches Szenario. Die letzte Verteidigungslinie setzt alles auf das dritte Containment (siehe oben), welches alles innerhalb des Reaktors halten wird, was auch immer für ein Chaos herrscht - Steuerstäbe drin oder draußen, Kern geschmolzen oder nicht.
Als die Dieselgeneratoren ausgefallen sind, wechselten die Reaktorbediener zu Notfallbatterien. Die Batterien sind ein Backup vom Backup, um Strom für die Kühlung des Kerns für 8 Stunden bereitzuhalten. Und das taten sie auch.
Innerhalb dieser 8 Stunden musste eine andere Stromquelle gefunden und an das Kraftwerk angeschlossen werden. Das Stromnetz selber funktionierte aufgrund des Erdbebens nicht. Die Dieselgeneratoren wurden durch den Tsunami zerstört. Deshalb wurden mobile Dieselgeneratoren per Lkw herbeigefahren.
An dieser Stelle fing die Sache an ernsthaft schief zu gehen. Die externe Generatoren konnte nicht an das Kraftwerk angeschlossen werden (die Stecker passten nicht). Also konnte die Nachzerfallswärme nicht mehr abgeführt werden, nachdem die Batterien leer waren.
An diesem Punkt folgen die Bediener vorhandenen Notfallmaßnahmen für einen "loss of cooling event" (Verlust der Kühlung Ereignis). Es ist ein weiterer Schritt der "gestaffelten Sicherheitsbarrieren". Die Stromversorgung für die Kühlsysteme sollte nie völlig versagt haben, aber es passierte dennoch also folgt der "Rückzug" auf die nächste Verteidigungslinie. All dies, wie schockierend es für uns auch sein mag, ist Teil der täglichen Schulung, die man als Bediener durchläuft bis hin zur Handhabung einer Kernschmelze.
Zu diesem Zeitpunkt fing man an, von einer Kernschmelze zu sprechen. Denn am Ende des Tages, wenn die Kühlung nicht wiederhergestellt werden kann, wird der Kern letztendlich schmelzen (nach Stunden oder Tagen), und die letzte Verteidigungslinie - der "Core Catcher" und das dritte Containment - würde ins Spiel kommen.
Aber das Ziel war zu diesem Zeitpunkt den Kern zu managen, während er sich aufheizt. Das soll sicherstellen, dass das erste Containment (die Zirkalloy Röhren, die den nuklearen Brennstoff enthalten) sowie das zweite Containment (unser Schnellkochtopf) so lange wie möglich intakt und funktionsfähig bleiben, um den Ingenieuren Zeit zu geben, die Kühlung zu reparieren.
Weil die Kühlung des Kerns eine so große Sache ist, hat der Reaktor eine Reihe von Kühlsystemen, die jeweils in mehreren Versionen vorhanden sind (das Reaktor Wasserreinigungssystem, die Nachzerfallswärmeabfuhr, die Kühlung der Reaktorkernisolierung die Standby-Flüssigkeitskühlung, und das Notfallkernkühlsystem [dies sind wahrscheinlich nicht die korrekten Bezeichnungen der Kühlsysteme Anm.d.Ü.]). Es ist an dieser Stelle unklar, welche wann und welche nicht ausgefallen sind.
Also stellen wir uns unseren Schnellkochtopf auf dem Herd vor, die Platte ist auf niedrig gestellt aber an. Die Bediener nutzen jede Kühlkapazität um so viel Wärme wie möglich loszuwerden, aber der Druck beginnt sich dennoch aufzubauen. Die Priorität besteht nun darin, die Integrität des ersten Containments (die Temperatur der Brennstäbe unter 2200 °C halten) und des zweites Containments (der Schnellkochtopf) aufrecht zu erhalten. Um die Integrität des Schnellkochtopfes (des zweite Containments) beizubehalten, muss der Druck von Zeit zu Zeit abgelassen werden. Weil das in einem Notfall so wichtig ist, hat der Reaktor 11 Druckablassventile. Die Bediener begannen jetzt von Zeit zu Zeit Dampf abzulassen, um den Druck zu kontrollieren. Die Temperatur betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 550 °C
Zu diesem Zeitpunkt begannen die Berichte über "Freisetzung von Radioaktivität". Ich glaube, ich habe oben erläutert, warum das Ablassen des Dampfes theoretisch das gleiche ist wie die Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt, aber warum es nicht gefährlich war und nicht gefährlich ist. Der radioaktive Stickstoff sowie die Edelgase sind keine Bedrohung für die menschliche Gesundheit.
Irgendwann während dieses Vorgangs erfolgte die Explosion. Die Explosion ereignete sich außerhalb des dritten Containments (unserer "letzte Verteidigungslinie"). Erinnere Dich daran, dass das Reaktorgebäude keine Funktion hat, um die Radioaktivität einzugrenzen. Es ist noch nicht völlig geklärt, was passiert ist, aber dies ist ein wahrscheinliches Szenario: Die Bediener beschlossen, den Dampf aus dem Druckbehälter nicht direkt in die Umwelt, sondern in den Raum zwischen dem dritten Containment und dem Reaktorgebäude abzulassen (um die Radioaktivität in dem Dampf mehr Zeit zum Abklingen zu geben). Das Problem ist, dass bei den hohen Temperaturen, die der Kern in diesem Stadium erreicht hatte, Wassermoleküle sich in Sauerstoff und Wasserstoff "trennen" können - eine explosive Mischung. Und sie explodierte außerhalb des dritten Containments und zerstörte des Reaktorgebäude drumherum. Es war diese Art der Explosion, aber im Inneren des Druckbehälters (weil er schlecht konzipiert und nicht richtig von den Bedienern verwaltet wurde), die zur Explosion von Tschernobyl geführt hatte. Dies war nie ein Risiko in Fukushima. Das Problem der Wasserstoff-Sauerstoff-Bildung ist eines der Riesenprobleme beim Entwerfen eines Kraftwerks (wenn Du kein Sovjet bist, ist es eins), deshalb wird der Reaktor so gebaut und betrieben, dass es nicht innerhalb des Containments passieren kann. Es geschah außerhalb, was so nicht gedacht war, aber ein mögliches Szenario und ok ist, denn es war kein Risiko für das Containment.
Der Druck war also unter Kontrolle, als Dampf abgelassen wurde. Wenn Du nun Deinen Topf am kochen hältst, fällt und fällt der Wasserstand. Der Kern ist von mehreren Metern Wasser bedeckt werden, damit einige Zeit vergehen kann (Stunden, Tage) bis er frei liegt. Sobald die Stäbe an der Spitze anfangen freizuliegen, werden die freiliegenden Teile die kritischen Temperatur von 2200 °C innerhalb ca. 45 Minuten erreichen. Dann würde das erste Containment, die Zirkalloy Rohr, versagen.
Und genau das begann zu passiern. Die Kühlung konnte nicht wiederhergestellt werden, bevor es einigen (sehr begrenzten, aber dennoch) Schaden an der Hülle eines Teils der Brennstoffes gab. Das Kernmaterial selbst war noch intakt, aber die umliegenden Zirkalloy Hülle hatte begonnen zu schmelzen. Nun begannen einige der Nebenprodukte der Uranzerfalls - radioaktives Cäsium und Jod - sich mit dem Dampf zu mischen. Das große Problem, das Uran, war noch unter Kontrolle, da die Uranoxid Stäbe noch bis 3000 °C halten. Es ist bestätigt worden, dass eine sehr kleine Menge von Cäsium und Jod in dem Dampf gemessen und in die Atmosphäre freigesetzt wurde.
Es scheint, als dass dies das "Go-Signal" für einen großen Plan B war. Die geringen Mengen an Cäsium, die gemessen wurden, sagten den Bedienern, dass das erste Containment der Stangen irgendwo versagt hatte. Plan A war, eines der normalen Kühlsysteme des Kern wiederherzustellen. Warum das nicht klappte, ist unklar. Eine plausible Erklärung ist, dass der Tsunami auch das ganze saubere Wasser für die normale Kühlung weggenommen / verschmutzt hat.
Das Wasser welches im Kühlsystem verwendeten wird, ist sehr sauber und demineralisiert (wie destilliertes Wasser). Der Grund warum reines Wasser verwendet wird, ist die oben erwähnte Aktivierung durch die Neutronen aus dem Uran: Reines Wasser wird viel weniger aktiviert und bleibt praktisch radioaktiv-frei. Schmutz oder Salz im Wasser absorbiert die Neutronen schneller und wird mehr radioaktiv. Dies hat keinerlei Auswirkungen auf den Kern - er kümmert sich nicht darum, von was er gekühlt wird. Aber es macht das Leben schwierig für die Betreiber und Mechaniker, wenn sie es mit aktiviertem (d.h. leicht radioaktivem) Wasser zu tun haben.
Aber Plan A war gescheitert - die Kühlsysteme waren außer Funktion oder zusätzliche sauberes Wasser war nicht verfügbar - also trat Plan B in Kraft. Es sieht so aus, als ob folgendes passiert ist:
Um eine Kernschmelze zu verhindern, begannen die Bediener, Meerwasser zu verwenden, um den Kern zu kühlen. Ich bin nicht ganz sicher, ob sie unseren Schnellkochtopf geflutet haben (das zweite Containment), oder ob sie das dritte Containment geflutet und den Schnellkochtopf versenkt haben. Aber das ist für uns nicht relevant.
Der Punkt ist, dass der Kernbrennstoff nun abgekühlt wurde. Da die Kettenreaktion längst gestoppt worden war, wurde nun nur noch wenig Nachzerfallswärme erzeugt. Die große Menge des Kühlwassers, die verwendet wurde, ist ausreichend, um die Wärme aufzunehmen. Weil es viel Wasser ist, wird der Kern nicht mehr ausreichend Wärme produzieren, um einen nennenswertem Druck aufzubauen. Zusätzlich wurde dem Meerwasser Borsäure beigefügt. Borsäure ist ein "flüssiger Steuerstab". Was auch immer für ein Zerfall noch im Gange ist, Bor nimmt die Neutronen auf und beschleunigt eine weitere Abkühlung des Kerns.
Das Kraftwerk war nahe an einer Kernschmelze. Hier ist das Worst-Case-Szenario, das vermieden wurde: Wenn das Meerwasser nicht hätte verwendet werden können, hätten die Bediener weiterhin Dampf abgelassen, um einen Druckaufbau zu vermeiden. Das dritte Containment wäre dann vollständig verschlossen worden, damit die Kernschmelze ohne Freisetzung von radioaktiver Stoffe passieren kann. Nach der Kernschmelze gäbe es eine Wartefrist, damit alle radioaktiven Zwischenprodukten im Inneren des Reaktors zerfallen und alle radioaktiven Partikel sich auf einer Oberfläche innerhalb des Containments absetzen. Das Kühlsystem wäre schließlich wiederhergestellt und der geschmolzene Kern auf eine handhabbare Temperatur abgekühlt worden. Das Containment wäre von innen gereinigt worden. Dann wäre mit der schmutzigen Arbeit des Entfernens des geschmolzenen Kerns aus dem Containment begonnen worden. Der (nun wieder feste) Brennstoff würde in einzelnen Stücken in Transportbehältern verpackt und zur Weiterverarbeitung abtransportiert werden. Je nach Schaden, würde der Block der Anlage dann entweder repariert oder abgebaut werden.
Nun, wohin führt uns das? Meine Bewertung:
- Die Anlage ist jetzt sicher und wird es auch bleiben.
- Japan hat einen Unfall INES Level 4 erlebt: Nuklearer Unfall mit lokalen Auswirkungen. Das ist schlecht für das Unternehmen, dass die Anlage besitzt, aber nicht für jemand anderen.
- Einige Strahlung ist freigesetzt worden, als der Dampf abgelassen wurde. Alle radioaktiven Isotope aus dem aktivierten Dampf sind verschwunden (zerfallenen). Eine sehr kleine Menge von Cäsium sowie Jod wurde freigesetzt. Wenn Du auf dem Schornstein der Anlage gesessen wärst, als sie den Dampf abgelassen haben, solltest Du besser mit dem Rauchen aufhören, um zu Deiner ursprünglichen Lebenserwartung zurückzukehren. Die Cäsium und Jod-Isotope wurden auf Meer geweht und sie waren nie wieder gesehen.
- Es gab eine geringe Schäden am ersten Containment. Das bedeutet, dass einige Mengen an radioaktivem Cäsium und Jod in das Kühlwasser freigegeben werden, aber kein Uran oder anderen fiesen Sachen (das Uranoxid ist nicht "löslich" im Wasser). Es gibt Einrichtungen, um das Kühlwassers im dritte Containment zu behandeln. Das radioaktive Cäsium und Jod wird entfernt werden und schließlich als radioaktiver Abfall in Endlager gelagert.
- Das Meerwasser, welches als Kühlwasser verwendet wurde, ist zu einem gewissen Grad aktiviert worden. Da die Steuerstäbe vollständig eingeführt sind, findet keine Urankettenreaktion statt. Das heißt, die "Haupt"-Kernreaktion ist nicht in Gange und trägt nicht zur Aktivierung bei. Die radioaktiven Zwischenprodukte (Cäsium und Jod) sind auch in diesem Stadium fast verschwunden, weil der Uran-Zerfall vor langer Zeit gestoppt wurde. Das reduziert die Aktivierung zusätzlich. Die Quintessenz ist, dass es ein niedriges Niveau der Aktivierung des Meerwassers gibt, die auch von Einrichtungen entfernt werden wird.
- Das Meerwasser wird dann im Laufe der Zeit mit dem "normalen" Kühlwasser ersetzt werden
- Der Reaktorkern wird dann abgebaut und zu einer Wiederaufbereitungsanlage transportiert, genau wie bei einem normalen Brennstoffwechsel.
- Die Brennstäbe und die gesamte Anlage werden auf mögliche Schäden überprüft. Dieser Vorgang dauert ca. 4-5 Jahre.
- Die Sicherheitssysteme auf alle japanischen Anlagen werden modernisiert, um einem 9,0 Erdbeben und Tsunami (oder schlimmer) standhalten zu können.
- (Aktualisiert) Ich glaube, das größte Problem wird eine anhaltende Stromknappheit sein. 11 von Japans 55 Kernreaktoren in verschiedenen Kraftwerken sind abgeschaltet worden und müssen überprüft werden. Dies reduziert direkt die nationale nukleare Kraftwerkskapazität um 20%, wobei die Kernenergie rund 30% der nationalen Stromerzeugungskapazität ausmacht. Ich habe keine möglichen Konsequenzen für andere Kernkraftwerke betrachtet, die nicht direkt betroffen sind. Dies wird wahrscheinlich durch Gaskraftwerke abgedeckt, die normalerweise nur für Spitzenlasten und eine Anteil der Grundlast abdecken. Ich bin nicht mit Japans Energie Supply Chain für Öl, Gas und Kohle vertraut und welche Schäden die Häfen, Raffinerien, Lagermöglichkeiten und Transportnetzwerke Davongetragen haben. Ebenso weiß ich nicht wie sehr das Stromnetz selber beschädigt ist. All das wird Deine Stromrechnung erhöhen, sowie zu Stromausfällen während Nachfragespitzen und den Wiederaufbaubemühungen in Japan führen.
- Das alles ist nur ein Teil eines größeren Kontextes. Die Notfallteams müssen sich um Obdach, Trinkwasser, Nahrung und medizinische Versorgung, Transport-und Kommunikationsinfrastruktur sowie Stromversorgung kümmern. In einer Welt der Lean Supply Chains stehen wir einigen großen Herausforderungen in all diesen Bereichen gegenüber.
Wenn Du informiert bleiben willst, vergiss bitte die üblichen Medien und schau auf den folgenden Websites:
- http://www.world-nuclear-news.org/RS_Battle_to_stabilise_earthquake_reactors_1203111.html
- http://www.world-nuclear-news.org/RS_Venting_at_Fukushima_Daiichi_3_1303111.html
- http://bravenewclimate.com/2011/03/12/japan-nuclear-earthquake/
- http://ansnuclearcafe.org/2011/03/11/media-updates-on-nuclear-power-stations-in-japan/
8 Kommentare:
Ich hab gerade Josef eine Mail geschrieben - evtl. notwendige Korrekturen pflege ich morgen ein. Hier (Melbourne) ist es schon mitten in der Nacht.
Sehr interessant und spannend zu lesen, danke für die Übesetzung!
oh oh, da scheint der arme joseph aber jetzt angesichts der aktuellen events probleme beim MIT zu bekommen :)
http://lean.mit.edu/about/lai-structure/faculty-researchers-and-staff/oehmen-josef
ich wär an seiner stelle schon besorgt...
Wow, ist schon fast der einzige Ort wo man diesen Text noch findet. Deutsche und englische Versionen verschwinden gerade aus dem Netz, weil sich dieser Kerl einfach mal monumental geirrt hat.
Was dahinter steckt, kann man hier nachlesen. Da wird dem guten Josef mal ein bisschen auf den Zahn gefühlt.
http://geniusnow.com/2011/03/15/the-strange-case-of-josef-oehmen/
Komischerweise taucht in dem Zusammenhang auch der Name Siemens auf.
Hier nochmals der Link zum anklicken:
The Strange Case of Josef Oehmen
@Anonym:
Ich hab gerade einen Post zu Josef veröffentlicht, den ich von seinem Facebook-account habe:
Some Background on Josef Oehmen's Blogpost
ich meine es ist schon eine sehr ernste sache mit der radioaktivität,ich bin sehr besorgt.das meerwasser rund um Fukushima ist schon verseucht,und es werden immer weniger produkte aus japan exportiert.
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